Heilmittel gegen die Idiotisierung des Abendlands

Wirklich lustige und gut geschriebene Kritik aus der Süddeutschen Zeitung über unseren Auftritt im Ottersberger Kulturstadl beim Rudi Zapf:

Auch im Ottersberger Kulturstadl erzeugen die "Wellküren" einen Aufmerksamkeitsdruck, der Maßstäbe setzt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch im Ottersberger Kulturstadl erzeugen die „Wellküren“ einen Aufmerksamkeitsdruck, der Maßstäbe setzt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Von Ulrich Pfaffenberger, Ottersberg

Sie nehmen für sich in Anspruch, Wackersdorf verhindert zu haben und Olympia 2018 in München. Sie sind dreimal so lange im Geschäft wie Helene Fischer. Aber aufhören kommt nicht in Frage für die Wellküren Moni, Bärbi und Burgi aus Schweinshausen. Man brauche nur mal nach Ungarn, in die Türkei oder in die USA zu schauen, da käme ein Ruhestand nach 30 Bühnenjahren nicht in Frage, verkünden die drei im Ottersberger Kulturstadl. Was selbst die gesetzteren Menschen im Publikum wohlwollend aufnehmen, schließlich verströmt das unbandige Trio eine Lebens- und Schaffenskraft, gegen die einfach kein Kraut gewachsen ist.

Drei Jahrzehnte auf den Bühnen von Musikkabarett und Satire bedeuten auch, dass sich der Schatz an Kritik- und Lästernswertem kräftig anreichert hat – und dass manches Muster in Variationen wiederkehrt. Paradebeispiel dafür ist das „Stubenmusical“ zur Melodie „Spiel mir das Lied vom Tod“, in dem einst Edmund Stoiber und Gabriele Pauli die Hauptrollen spielten und in dem heute das Trio Seehofer, Orban, Putin von der „demokratischen Platzpatrone“ Söder vergeblich aufs Korn genommen wird. Genauso wie das „Wischi Well“-Putztuch gehören diese Perlen zu den Nummern im Repertoire, bei denen sich das mitgealterte Publikum wie zuhause fühlt. Dass in den Männern unserer Tage – vom Horst in München bis zum Manfred in der ersten Reihe – vor allem das starke Geschlecht kräftig rasiert wird, führt zu einer Dominanz der Sopranstimmen im Zwischengelächter, tut dem hingebungsvollen Applaus der Gesamtheit im ausverkauften Stadl von Rudi Zapf aber keinen Abbruch. Selbst der bekommt statt Blumen von der Bühne eine liebevolle Spitze für die Mühe, die er sich wieder mit der Dekoration gemacht habe…

Musikalisch sind die Wellküren nach wie vor eine Ausnahmeerscheinung, ihr kunstvoller Umgang mit Stimmen und Instrumenten ist ein Hochgenuss. Wenn es eines Beweises für die Zeitlosigkeit und Modernität des Dreigesangs bedürfte, dann liefern ihn die Well-Schwestern. So hört sich der lebendige Umgang mit Kulturgut im Sinne Gustav Mahlers an, dass Tradition nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers ist. Lodernde Flammen schlagen indes nicht nur aus den Kehlen des Trios, sondern auch aus seiner leidenschaftlich zelebrierten Multi-Instrumentalität, einem offenkundigen Well-Gen. Im Lauf des Abends durchlebt das Publikum so die Klangwelten „Tuba-Saxophon-Ziach“, „Harfe-Gitarre-Hackbrett“, „Posaune-Tuba-Sax“, „Gitarre-Tuba-Hackbrett“ und weitere Kombinationen im Trio oder Duett, mit feinen Ausflügen in Bebop und Bossanova, in Kirchenlied und Chanson. Immer wieder überraschend, aber dennoch vertraut im Wellküren-Stubenmusi-Duktus, dem wahren Heilmittel gegen die klangliche Idiotisierung des Abendlands. An der Begegnung mit der Nonnentrompete, solo, zu zweit, zu dritt, schließlich hatten nicht nur die Zuhörer ihr staunendes Vergnügen, das hätte auch eine Florence Foster Jenkins begeistert: endlich nicht mehr allein im Universum der unglaublichen Töne.

Was den Auftritt der Wellküren im buchstäblichen Sinne mitreißend macht, ist das von „geschwind“ über „brutal flott“ bis „stürmisch“ reichende Tempo ihrer Nummern, gedanklich wie sprachlich. Mit der Präzision eines Uhrwerks und mit der Kraft einer Turbine greifen Wortwitz, mimische Signale und musikalische Groteske hier ineinander. Auf dem Orchestrion der Vorurteile, Ängste und Tabus erzeugen die beherzten Botschaften der drei einen Aufmerksamkeitsdruck, der nach wie vor Maßstäbe setzt in der kabarettistischen Szene. Es brauchte für Zuschauer schon Superkräfte, wollten sie sich dem entziehen, was da auf sie einströmt. Beim männlichen Teil des Publikums kommt der Bedarf an Hornhaut auf der Seele und großzügigem Verständnis dazu. Verständnis dafür, dass die weibliche Überlegenheit und Leichtigkeit im Umgang mit den Widrigkeiten des Lebens eben ein Ziel braucht, das die Signale auffängt.

>Artikel im Original lesen.

Tags: , , , , , ,

Bisher keine Kommentare.

Schreibe einen Kommentar

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner