Bayrische Gemütlichkeit mit Stacheln: Wellküren in der NZZ

NZZ /Neue Zürcher Zeitung

30 Jahre Wellküren

Bayrische Gemütlichkeit mit Stacheln

Wellküren mit Nonnentrompeten

Wellküren mit Nonnentrompeten

 

Burgi, Moni und Bärbi Well geben ein köstliches Bild ab, wenn sie mit ihren Nonnentrompeten auf und zwischen den Knien auf der Bühne sitzen und einen fürchterlich krächzenden «Dritten Mann» fiedeln. Die Instrumente werden mit einem Geigenbogen gespielt und schauen aus wie eine Saz – eine orientalische Langhalslaute – mit nur einer Saite sowie einem Grammophontrichter anstelle des Schallkörpers. Ein österreichischer Instrumentenbauer namens Ernst Trum soll das Streichhorn einst eigens für musizierende Nonnen erfunden haben.

Klosterfrauen durften damals nämlich keine Blasinstrumente spielen, Streichinstrumente aber schon. Die ein halbes Jahrtausend später in die Filmgeschichte eingegangene Komposition für drei Trumscheite, wie das Instrument zunächst genannt worden war, gelangte 1453 zur Uraufführung. Die drei musizierenden Nonnen landeten nach ihrem Vortrag auf dem Scheiterhaufen.

Katzenmusik aus der Schweiz

So weit die Legende, welche die Wellküren auf der Bühne stricken. In der Realität ist die Geschichte der Nonnentrompeten prosaischer. Burgi Well, die Älteste des bayrischen Kabarettistinnentrios, hatte vor Jahren in der Sammlung des Schlossmuseums Burgdorf eine Illustration dieses Katzenmusikinstruments entdeckt. Sie war begeistert und überredete einen langjährigen Freund aus der Region, den Geigenbauer und Galeristen Joss Uhlmann aus Herzogenbuchsee, dazu, drei solche Instrumente zu bauen.

Seither verfügen die singenden, musizierenden und deklamierenden jüngsten Töchter der musikalischen Grossfamilie Well über ein Alleinstellungsmerkmal in der Welt der alpenländischen Kleinkunst. Und Joss Uhlmann profitiert dieser Tage gleichfalls von den Nonnentrompeten: Im Rahmen ihrer Tournee zum 30-Jahr-Jubiläum treten die Wellküren, «die weibliche Synthese aus Volksmusik und Kabarett», nämlich am Samstag in Uhlmanns Galerie Käslager in Herzogenbuchsee auf.

Rote Schuhe aus Zürich

Zuvor, am Donnerstag, zeigen sie ihr Programm im Diogenes-Theater im sankt-gallischen Altstätten. Und am Freitag gastieren die spritzigen Kämpferinnen gegen dumpfe Spiessigkeit und klerikale Doppelmoral mit ihren Instrumenten, von der Harfe über die Tuba und die Posaune bis zur Ukulele, mit witzig-frechen Sprechnummern und lieblichen Gstanzln aus einer unheilen Welt in Miller’s Theater in Zürich.

In der Schweiz treten die Wellküren relativ selten auf. Doch nach Zürich fahren Burgi, Bärbi und Moni Well regelmässig. Hier, in einem Geschäft im Niederdorf, kaufen sie nämlich jeweils ihre roten Bühnenschuhe. Es seien bequeme Schuhe mit Pfiff, und immer wieder fragten Frauen aus dem Publikum nach dem Ort, wo sie sie gekauft hätten, erzählt Bärbi, während ihr Mann Christian den Kaffee und den Apfelstrudel aufträgt.

Sieben Töchter und acht Söhne

Die drei Schwestern hatten als Ort für unser Gespräch Bärbis Wohnung im Pixis-Haus vorgeschlagen, einem schönen, zweigeschossigen Walmdachbau aus dem 17. Jahrhundert im Münchner Stadtteil Laim. Denn bei den Wells mag man es familiär. Fünfzehn Kinder – sieben Töchter und acht Söhne – zogen der Dorflehrer Hermann Well und seine Frau Traudl in Günzlhofen auf, einem Ortsteil der Gemeinde Oberschweinbach im Landkreis Fürstenfeldbruck. Der Vater spielte Klavier und Geige, die Mutter die Zither, und alle Kinder lernten schon früh ihre Instrumente. Sie sangen im Kirchenchor und traten als musizierende Grossfamilie an Hochzeiten, Dorffesten und Trauerfeiern auf. Geld hatten sie wenig, die Älteren halfen bei der Erziehung der Jüngern mit, und Kleider und Schuhe wurden von Kind zu Kind weitergegeben.

So eine Jugend prägt. Die acht jüngeren Kinder sind der Musik treu geblieben. Die Brüder Hansi, Michi und Stofferl traten ab 1976 Jahre als Biermösl Blosn auf und wurden seit 1980 durch ihre Zusammenarbeit mit Gerhard Polt weit über Bayern hinaus bekannt. 2012 sprang Karli für Hansi ein, das Trio wurde zu den Well-Brüdern aus’m Biermoos. 1986 verliessen auch die Schwestern den Familienmusikverbund und traten fortan als Wellküren auf; 2005 ersetzte Bärbi die ältere Schwester Vroni, der das Tourneeleben zu anstrengend geworden war.

Die Abgründe bayrischer Politik

Seinen Namen wählte das Trio, weil in seinem Gründungsjahr die Stiftung Bayreuther Festspiele unter einigem Getöse zu einer GmbH umgewandelt wurde und die Familie Wagner in München in aller Munde war. Mit ihren zierlichen Läuferinnenfiguren und ihrer jugendlich-fröhlichen Ausstrahlung sind die drei freilich das pure Gegenteil der Wagnerschen Walküren. Ihre Sprachmacht indes ist gewaltig, und musikalisch bieten sie gleichfalls viel.

Im wunderbaren «Stuben-Musical» zu sehr eigenständig interpretierten Filmmelodien von Ennio Morricone etwa besingen sie die Abgründe der bayrischen Politik vom kunstsinnigen Monarchen Edmund dem Ersten bis zu Horst, dem durch sich selbst Erwählten. Und am fernen Firmament erstrahlt zu den wimmernden Klängen von «Spiel mir das Lied vom Tod» auf der Nonnentrompete schicksalsträchtig das Sanctum Präputium.

Gut aufpassen, Nichtbayern!

Das ist grossartig, ebenso wie die von Karl Valentin inspirierten und mehrfach variierten Zeilen aus dem Lied «Chinesisch»: «Wann i ko na kimmi, kimmi aber nimmi, kimm i, kumm i, aber i kimm kaam.» – Das ist schwerer Stoff für des Bayrischen unkundige Hörer, hat aber bestimmt dazu beigetragen, dass die Wellküren vor Jahren mit der Bairischen Sprachwurzel ausgezeichnet wurden. Andere Preisträger sind bayrische Grössen wie Papst Benedikt, der Kabarettist und Musiker Georg Ringsgwandl oder die Neo-Volksmusiker Haindling.

Einen Kleinkunstpreis allerdings gab’s bisher noch nicht. Das mag vielleicht damit zusammenhängen, dass ihre Brüder dank ihrem Zehn-Jahre-Vorsprung schon praktisch alles gewonnen haben, was es zu gewinnen gibt. Ausserdem realisieren viele Leute selbst aus der Welt der Kleinkunst nicht, dass die beiden Trios trotz regelmässigen und sehr erfolgreichen gemeinsamen Auftritten als Geschwister Well zwei eigenständige Formationen sind.

«Wir nehmen’s halt hin»

Noch immer werden die Wellküren da und dort als «Biermösl-Schwestern» angekündigt. Ärgern tut sie das nicht mehr. «Wir nehmen’s halt hin», sagt Bärbi, «ändern können wir eh nichts.» Und Moni ergänzt: «Wir haben auch ohne Preise und Fernsehen seit 30 Jahren immer volle Säle. Die Leute spüren, dass wir Freude haben, und kommen immer wieder.»

«30 Jahre Wellküren»: 17. 11., 20 Uhr, Diogenes-Theater Altstätten; 18. 11., 20 Uhr, Miller’s Theater, Zürich; 19. 11., 19 Uhr, Käslager Herzogenbuchsee.

von Alois Feusi – 

Hier im Original lesen!

Tags: , , , , , , , ,

Trackbacks/Pingbacks

  1. Wellküren kommen ins Miller's nach Zürich! - Wellküren - 3. Februar 2017

    […] Feusi von der NZZ hat uns den Schweizern mit einem tollen ganzseitigen Artikel vorgestellt. Unter der Überschrift “Bayrische Gemütlichkeit mit Stacheln“ hat er so eine Art […]

Schreibe einen Kommentar

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner